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Belagerung und Verteidigung Kolbergs






Schreiben Oberst von Gneisenaus an die Stadtrepräsentanten Colbergs vom 08.08.1807.



Meine Herrn Repräsentanten der patriotischen Bürgerschaft zu Colberg.

Da ich auf unsers Monarchen Befehl, mich eine zeitlang von dem mir so lieb gewordenen Colberg trenne, so trage ich Ihnen, meine Herrn Repräsentanten, auf, den hiesigen Bürgern mein Lebewohl zu sagen. Sagen Sie selbigen, daß ich Ihnen sehr dankbar bin, für das Vertrauen, das Sie mir von meinem ersten Eintritt in hiesiger Festungen geschenkt haben. Ich mußte manche harte Verfügung machen, manchen hart anfassen, dies gehörte zu den traurigen Pflichten meines Postens, dennoch wurde dies Vertrauen nicht geschwächt. Viele dieser wackern Bürger haben uns freiwillig ihre Ersparnisse dargebracht, ohne diese Hülfe wären wir in bedeutender Noth gewesen. Viele haben sich durch Unterstützung unsrer Kranken und Verwundeten hochverdient gemacht. Diese schöne Empfindung an Colberger Muth, Patriotismus, Wohlthätigkeit und Aufopferung werden mich ewig begleiten. Ich scheide mit gerührtem Herzen von hier. Meine Wünsche und Bemühungen werden immer rege für eine Stadt seyn, wo noch Tugenden wohnen, die anderderwärts seltener geworden sind. Vererben Sie selbige auf Ihre Nachkommen, dies ist das schönste Vermächtniß das Sie Ihnen geben können.

Leben Sie wohl und erinnern Sie sich mit Wohlwollen

Colberg, den 8. August 1807.

Ihres treu ergebenen Commandanten. v. Gneisenau.




Als 1806 Kolberg eine der wenigen preußischen Festungen war, die nicht vor Napoléon Bonaparte kapitulierten, war Joachim Nettelbeck als Bürgerrepräsentant Führer der Opposition gegen den Kommandanten Ludwig Moritz von Lucadou, den er als potenziellen Verräter, zumindest als Unglück für Kolberg, ansah. Nach Beginn der Kampfhandlungen im März 1807 riskierte Nettelbeck seinen Kopf, indem er an der Spitze gleichgesinnter Bürger und Beamter konspirativ beim König Friedrich Wilhelm III. die Absetzung des in der Tat überforderten Mannes betrieb. Dem Nachfolger Major Gneisenau gelang es, die Nettelbeckpartei zur Mitarbeit zu gewinnen, indem er Nettelbeck, dessen Amt wegen der künstlichen Überschwemmungen um Kolberg ohnehin von höchster Wichtigkeit für die Verteidigung der Festung war, auch zu Erfassungs- und Kontrollaufgaben innerhalb der Bürgerschaft einsetzte und als Sachverständigen anerkannte. Ohne die treibende Kraft Nettelbecks, der auch persönlich große Opfer erbrachte, wäre es nicht zu der nun gelingenden Abwehr der Belagerer gekommen.




Mit den Berichten über den erfolgreichen Widerstand der Festung Kolberg wurde auch Nettelbeck berühmt:

Die Zeit verging. Das unselige Jahr 1806 kam herbei. Mir als feurigem Patrioten, der sich der alten Zeiten von unsers Großen Friedrichs Taten erinnerte, blutete gleich vielen das Herz bei der Nachricht von dem entsetzlichen Tage von Jena und Auerstedt. Ich hätte kein Preuße sein müssen, wenn ich nicht jetzt Gut und Blut und die letzte Kraft meines Lebens für beides aufbieten mochte. Nicht mit Reden und Schreiben, mit der Tat mußte hier geholfen werden. Jeder auf seinem Posten, ohne sich erst lange feig und klug umzusehen! Alle für einen, einer für alle!

Magdeburg und Stettin, die beiden Herzen des Staates, waren gefallen. Die ungestüme französische Windsbraut zog immer näher und drohender gegen die Weichsel heran. Es ließ sich voraussehen, daß bald genug auch die Feste Kolberg an die Reihe kommen würde.

Kaum war Stettin erobert, so kam von dorther ein französischer Offizier als Parlamentär und forderte (am 8. November) die Festung zur Übergabe auf. Dieses Ansinnen wurde zwar mit einer abschlägigen Antwort bedacht, doch der Franzose hätte nur einige hundert Soldaten haben müssen, um ungehindert zu unseren Toren einziehen zu können. Dies scheint unglaublich und ist doch buchstäbliche Wahrheit.

Kolberg war damals ein Städtchen von noch nicht sechstausend Seelen. Es liegt an dem rechten Ufer der Persante, einem kleinen Flusse, welcher nur kurz vor der Ostsee einige hundert Schritte hinauf schiffbar ist. Dort, eine halbe Viertelmeile von der Stadt, bildet er einen Hafen für leichtere Fahrzeuge. Die daran liegenden Wohnungen und Speicher heißen die »Münde«.

Der Platz gewinnt aber eine bedeutende Stärke durch einen breiten morastigen Wiesengrund, welcher sich ununterbrochen von Süden nach Nordosten dicht an der Stadt hinzieht. Er gestattet keine Annäherung durch Laufgräben und kann überdies durch Schleusen tief unter Wasser gesetzt werden. Den Eingang des Hafens deckte an der Ostseite ein starkes Werk, das »Münder-Fort«.

Noch erinnerte sich jedermann an die glückliche Verteidigung durch den tapferen Kommandanten Obrist von Heyden. Dreimal - 1758, 1760 und 1761 - war die Stadt durch die Russen und Schweden zu Land und Meer belagert worden. Und auch das dritte Mal war die Übergabe nicht durch Waffengewalt, sondern nur durch Hunger erzwungen worden. Diese Erfahrungen hatten den König Friedrich bewogen, die Stadt im Jahre 1770 durch verschiedene neue Werke verstärken zu lassen. Ich habe daher den festen Glauben, daß sich Kolberg gegen eine noch so große Feindesmacht zu halten vermag, wenn genügend Proviant vorhanden ist, die Überschwemmung gehörig ausgenutzt werden kann und wenn es von der Seeseite her gesichert ist.

Allein im Herbst 1806 sah es mit allem, was zu einer rechten Verteidigung gehörte, gar trübselig aus. Seit undenklicher Zeit war für die Unterhaltung der Festung so gut wie nichts getan worden. Wall und Graben waren verfallen, von Palisaden keine Spur. Nur drei Kanonen standen in der Bastion Pommern auf Lafetten und dienten allein zu Lärmschüssen, wenn Ausreißer von der Besatzung verfolgt werden sollten. Alles übrige Geschütz lag am Boden, hoch vom Grase überwachsen, und die dazu gehörigen Lafetten vermoderten in den Remisen. Die Zahl der Verteidiger war unzureichend. Die allgemeine Entmutigung wurde durch Flüchtlinge und tausend Unglücksbotschaften genährt. Es fehlte an allem, sodaß ein rascher, kecker Anlauf genügt hätte, jeden ernstlichen Widerstand zu brechen. Unser Kommandant war damals Obrist von Loucadou, ein alter, abgestumpfter Mann, der im bayrischen Erbfolge-Krieg zu dem Ruf gekommen war, ein besonders tüchtiger Offizier zu sein. Späterhin hatte er nur wenig Gelegenheit gehabt, seine Reputation zu behaupten; und er hing noch so blind an dem alten Herkommen, daß er sich in der neuen Zeit nicht zurechtfinden konnte. Ein großes Unglück für uns alle, die wir die Gefahr sahen und ihn aus seinem Seelenschlafe vergeblich zu wecken suchten.

Natürlich konnte uns solch ein Mann kein Vertrauen einflößen. Während alles, was Militär hieß, seinen trägen Schlummer mit ihm teilte, fühlte sich die Bürgerschaft von Unruhe und Besorgnis ergriffen. Man beratschlagte untereinander. Weil ich nun einer der ältesten Bürger war, den Siebenjährigen Krieg erlebt und während der früheren Belagerungen Adjutantendienste beim braven Heyden verrichtet hatte, wählte man mich zum Wortführer. Ich sollte mich als Repräsentant der Bürgerschaft mit dem Kommandanten über alle Maßregeln zur Verteidigung des Platzes genauer verständigen.

Nach dem alten Grundsatz, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei und alles, was nicht Uniform trage, sich auch nicht um militärischen Angelegenheiten zu kümmern habe, konnte es freilich anmaßend erscheinen, daß wir Bürger bei der Verteidigung unserer Stadt mit dreinreden wollten, doch bei uns in Kolberg war das anders. Von ältester Zeit her waren wir die natürlichen und gesetzlich berufenen Verteidiger unserer Wälle und Mauern. Vormals mußte jeder seinen Bürgereid schwören, daß er die Festung verteidigen wolle mit Gut und Blut. Die Bürgerschaft war in fünf Kompanien eingeteilt, an ihrer Spitze stand der Bürger-Major. Wenn die Garnison in Friedenszeiten ausrückte, besetzte sie Tore und Posten. Und noch immer versammelte sie sich zuweilen in der Maikuhle - weniger freilich zu kriegerischen Übungen, als um sich in diesem lieblich gelegenen Wäldchen zu vergnügen.

Von diesen Verhältnissen hatte indes der Obrist von Loucadou entweder nie gehört, oder sie waren ihm als Nachäffung des Militärs lächerlich und zuwider. Das erfuhr ich, als ich mich vorstellte und ihm im Namen meiner Mitbürger eröffnete, daß wir entschlossen wären, mit dem Militär gleiche Last und Gefahr zu bestehen. Er möge uns demnächst unsere Posten anweisen, wir würden unsre Schuldigkeit tun.

»Macht dem Spiel ein Ende, ihr guten Leutchen!«, sagte er endlich. »Geht in Gottes Namen nach Hause. Was soll mir's helfen, daß ich euch sehe?« - So hatte ich meinen Bescheid und trollte mich.

Bald darauf ging ich wieder zum Obristen. Es sei vorauszusehen, sagte ich, daß es bei der Instandsetzung der Festung auf den Wällen viel zu tun gebe. Die Bürgerschaft würde dabei gerne Hand anlegen. »Die Bürgerschaft! Und immer wieder die Bürgerschaft!« antwortete er mit häßlichem Lachen, »ich will und brauche die Bürgerschaft nicht!«

Solche Äußerungen kehrten uns nicht nur gänzlich von dem Manne ab, sie erweckten vielmehr allerlei Argwohn, der durch ganz frische Beispiele genährt wurde. Wer schützte uns vor Verräterei? Vor heimlichen Unterhandlungen? Um auf der Hut zu sein, wählten wir unter uns einen Ausschuß, dessen Mitglieder sich bei Tag und Nacht an allen drei Stadttoren ablösten, um dort auf alles, was aus- und einging, ein wachsames Auge zu haben.

Inzwischen wurden nun doch von seiten der Kommandantur einige schläfrige Anstalten getroffen. Darum ging ich abermals zum Obristen und machte ihn aufmerksam, welche guten Dienste uns bei den früheren Belagerungen eine Schanze auf dem Hohenberge, etwa eine Viertelmeile vor der Stadt, geleistet hätte. Noch wären die Überbleibsel der Schanze erkennbar, wir seien bereit, sie eiligst wiederherzustellen.

Sonderbar kam mir die Antwort vor, die ich endlich erhielt: »Was außerhalb der Stadt geschieht, kümmert mich nicht. Die Festung selbst werde ich zu verteidigen wissen. Meinetwegen könnt ihr draußen schanzen, wie und wo ihr wollt.« Demnach taten wir nun, was uns nicht verboten war, und taten es mit Lust und Freude. So gelang es uns denn, ein Werk aufzuführen, das sich schon sehen lassen durfte.

Eine andere Sorge war die rechtzeitige und ausreichende Beschaffung von Lebensmitteln für den Fall einer Belagerung. Ich hatte als Bürger-Repräsentant das Amt, Haus bei Haus in der Stadt aufzusuchen und die Bestände an Korn und Viktualien aufzunehmen. Ebenso begab ich mich in die nächsten Dörfer. Ich gab vor, Korn und Schlachtvieh aufkaufen zu wollen, und erfuhr so, was jeden Orts von dieser Gattung vorhanden war. Alles dies schrieb ich auf und ging darauf mit meinen Verzeichnissen zu Loucadou, legte sie ihm vor und bat, schleunigst Anstalten zu treffen, daß diese Vorräte gegen Erteilung von Empfangsscheinen in die Festung geschafft würden. Auf diese gutgemeinte Vorstellung ward ich jedoch sehr hart angefahren: Zu dergleichen Gewaltmaßnahmen sei er nicht autorisiert. Jeder möge für sich selbst sorgen. Eiligst raffte er meine Papiere zusammen und versicherte: Er brauche all den Plunder nicht, und damit Gott befohlen!

In Kolberg - das sah ich wohl - war auf keine Hilfe mehr zu rechnen. Ich entschloß mich also, in Gottes Namen unseren unglücklichen König in Königsberg, Memel oder wo ich ihn finden würde, aufzusuchen und ihm Kolbergs Lage und Not zu schildern. In dieser Zeit gerade traf der Kriegsrat Wisseling in Kolberg ein. Ein Mann, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Er sah mit eigenen Augen, wie es hier zuging, und fühlte sich darüber nicht wenig bekümmert. Meine Reise aber mißbilligte er: »Ich begebe mich zum König und werde mein möglichstes tun. Wirken Sie derweilen hier. So Gott will, wird es uns gelingen, den Platz zu retten.«

Täglich fanden sich bei uns noch Versprengte von unseren Truppen ein. Unter ihnen befand sich auch der Leutnant von Schill, der, am Kopf schwer verwundet, nicht weiter konnte. Sobald er wieder ein wenig zu Kräften gekommen war, besahen wir uns den Platz und seine Umgebung. Wir waren uns darüber einig, daß es bei einer erfolgreichen Verteidigung der Festung hauptsächlich auf den Besitz des Hafens ankam. Die sogenannte Maikuhle war die Schlüsselstellung des Hafens. Dieses Lustwäldchen, das sich hart vom Ausfluß der Persante längs den Uferdünen der Ostsee erstreckt, mußte um jeden Preis gehalten werden. Bis zu diesem Augenblick aber war zur Verschanzung dieses entscheidenden Punktes noch keine Schaufel in Bewegung gesetzt worden.

Woher aber Hände nehmen, um dort auch nur einige leichte Erdwerke zustande zu bringen? Auf Schills Zureden und die Versicherung, sich für meine künftige Entschädigung eifrigst zu verwenden, entschloß ich mich, meine paar Pfennige vorzustrecken, die ich im Kasten hatte.

Demzufolge holte ich in der Gelder-Vorstadt und in den umliegenden Dörfern soviel Tagelöhner und Häusler zusammen, wie ich bekommen konnte. Ich versprach und zahlte guten Lohn und verwandte auf diese Weise gegen vierhundert Taler aus meiner Tasche. Tag und Nacht schanzten und arbeiteten wenigstens sechzig Menschen eine geraume Zeit hindurch an diesen Befestigungen nach dem von Schill entworfenen Plan. Weder der Kommandant noch sonst jemand fragte und kümmerte sich, was wir da schafften. So blieb es auch meinem Freund überlassen, diese Schanzen mit seinen Leuten zu besetzen. Allein, um sie dort zu halten, mußte auch für Löhnung und Mundvorrat gesorgt werden. Vorerst fiel diese Sorge mir anheim, solange mein Beutel vorhielt und meine Küche und mein Branntweinlager es vermochten.

Inzwischen war auch Kriegsrat Wisseling mit sehr ausgedehnten Vollmachten vom König wieder zurückgekehrt. Sein Eifer brachte sofort ein neues, wunderbares Leben. Ganze Herden Schlachtvieh, lange Reihen von Getreidewagen zogen zu unsern Toren ein. Heu und Stroh füllte in reichem Überflusse die Futtermagazine. Für diese erzwungenen Lieferungen erhielt der Landmann nach dem Taxwert Lieferungsscheine, die künftig eingelöst werden sollten und mit denen er zufrieden war. In der Stadt wurde geschlachtet und eingesalzen und die Böden der Bürgerhäuser mit Kornvorräten gefüllt. So konnte Kolberg allgemach für notdürftig verproviantiert gelten.

Neuen Trost gab das Eintreffen des Hauptmanns von Waldenfels. Ein junger, tätiger Mann, der vom König geschickt worden war, um als Vizekommandant Loucadou zur Seite zu stehen. Wenn er auch mit dem alten grämlichen Mann manchen Kampf zu bestehen hatte, so mußte er doch auch eben so oft sich seinen Launen fügen. Wir hatten also an ihm noch immer nicht den Mann, den wir brauchten.

Auch Schill, der seit dem Januar vom König zur Organisierung eines Freikorps autorisiert worden war und von allen Seiten gewaltigen Zulauf fand, war ein von Loucadou sehr ungern gesehener Gast, dem er, wo er nur konnte, Hindernisse in den Weg legte. Nun ließ sich der wackre Schill bei all seiner natürlichen Bescheidenheit nicht so leicht unterjochen. Zudem stand sein Ruhm einmal fest; und selbst als ihm sein Überfall auf Stargard mißlang, konnte er sich mit unverletzter Ehre gegen Kolberg zurückziehen.

Bis zum 13. März hatte der Feind seine Umzingelung vollendet. Dennoch war die Einschließung nicht so dicht, daß nicht immer noch Nachrichten durch flüchtende Landsleute zu uns gedrungen wären, die stärkere Zusammenziehung der französischen Truppen ankündigten. Überhaupt blieb uns auf dem Wege längs dem Strand fast die ganze Zeit der Belagerung hindurch noch manche Verbindung mit der Nachbarschaft erhalten, und auch zu Wasser ließ sich jeder beliebige Punkt der Küste heimlich erreichen.

Unsere Belagerer hatten nun auch die Anhöhen der Altstadt besetzt und waren uns dadurch in bedenkliche Nähe gerückt. Es wurde daher hohe Zeit, die Wiesen unter Wasser zu setzen, sodaß an kein Durchkommen zu denken war. Um einen haltbaren Damm zu bekommen, hatte ich mehrere hundert leere Glaskisten mit Erde füllen und neben- und aufeinander versenken lassen. Andere Dämme waren ausgebessert und die Schleusen und Wasserläufe in Ordnung gebracht worden.

Bis zum 19. März waren die Belagerer vornehmlich damit beschäftigt, ihre Lager einzurichten, sich in der Altstadt festzusetzen und eine Verbindungsbrücke über die Persante zu schlagen. Danach rückten sie vor. Das Dorf Sellnow ging verloren, und damit war der Feind Herr des Gradierwerks und der Saline. Die Schanze auf dem Strickerberge, die heftig angegriffen wurde, verteidigten die Grenadiere mit Entschlossenheit bis gegen Abend. Dann mußten sie durch eine Abteilung Freiwillige des Schillschen Korps abgelöst werden. Diese behaupteten sich noch achtundvierzig Stunden.

Scharmützel und Plänkeleien zwischen den Vorposten, kleine Ausfälle und Überrumpelungen waren mit wechselndem Glück an der Tagesordnung und kosteten uns immer einige brave Leute. Ihr Verlust wäre uns noch fühlbarer geworden, wenn wir unsre Reihen nicht hätten ergänzen können. Aber, nun die See wieder fahrbar geworden war, strömten uns von Zeit zu Zeit auf einem dänischen Schiffe und auch auf mehreren Rügenwalder Booten kampflustige ehemalige Kriegsgefangene zu Hunderten zu. Doch auch der Feind verstärkte seine Reihen von Tag zu Tag. Sein Wurfgeschütz richtete hier und da Verheerungen an; besonders machten uns seine so nahe gelegenen Batterien auf der Altstadt viel zu schaffen.

Seit dem letzten mißlungenen Angriff auf die Maikuhle geschahen nur hier und da einige Vorstöße auf unsre Vorpostenkette, um unsre Aufmerksamkeit zu beschäftigen. Dagegen wagte sich der Feind in diesen Tagen an ein Unternehmen, das kühn und groß genug angelegt war, um uns, bei geglückter Ausführung, mit all unseren bisherigen Verteidigungswerken im eigentlichsten Wortverstande aufs Trockene zu setzen. Die Franzosen wollten nämlich der Persante ein anderes Bette graben und sie in den Campschen See ableiten. Das Werk wurde groß und kräftig angefangen; aber bald stieß man auf Schwierigkeiten, die man nicht erwartete hatte. Darum ward auch die Sache wieder aufgegeben. Wir sahen uns von einer Sorge befreit, ehe sie uns noch hatte beunruhigen können.

Empfindlichen Schaden verursachten uns die feindlichen Wurfbatterien auf der Altstadt. Sie zerstörten nicht nur einen Teil unsrer Häuser, sondern nahmen auch manches Menschen Leben und Gesundheit. Und dies schlug den Mut der Menge merklich nieder. Die Geringschätzung unseres unfähigen Kommandanten ging allmählich in wirklichen Haß und Feindseligkeit gegen ihn über.

Desto sehnsüchtiger waren meine Blicke und Hoffnungen auf Memel gerichtet. In meiner Seele lebte ein unüberwindliches Vertrauen, daß mein Klagegeschrei das Ohr unseres Monarchen erreicht haben werde.

Nun rückten auch unsere langgenährten Wünsche ihrer Erfüllung immer näher. Am 26. April führten zwei Schiffe das zweite Pommersche Reserve-Bataillon, siebenhundert Köpfe stark, aus Memel unserer seither auf allerlei Weise verringerten Besatzung als Verstärkung zu. Am nächsten Tage kam auch von Schwedisch-Pommern ein Schiff mit einer guten Anzahl ehemaliger Kriegsgefangener. Diese Ermunterungen brauchten wir auch mehr als jemals, da kurz zuvor das längst erwartete schwere Belagerungsgeschütz im feindlichen Lager eingetroffen war. Jetzt erst drohte der Kampf um Kolberg seinen vollen Ernst zu gewinnen.

Ich eilte, um den Vizekommandanten aufzusuchen und ihm meine Besorgnisse ans Herz zu legen. Bereits auf der Brücke des Münder-Tores begegnete ich ihm. Neben ihm ging ein Mann, den ich nicht kannte und der mit dem Schiff gekommen zu sein schien. Da mein Anliegen an den Vizekommandanten eilig war, zog ich ihn etwas abseits. Waldenfels aber lächelte und sagte: »Kommen Sie nur; in meinem Quartier wird ein bequemerer Ort dazu sein.«

Als wir dort angekommen waren, wandte sich der Hauptmann mit den Worten zu mir: »Freuen Sie sich, alter Freund! Dieser Herr - Major von Gneisenau - ist der neue Kommandant, den uns der König geschickt hat« ; und zu seinem Gast: »Dies ist der alte Nettelbeck!« - Ein freudiges Erschrecken fuhr mir durch die Glieder; die Tränen stürzten mir unaufhaltsam aus den alten Augen. Ich fiel vor unserem neuen Schutzgeist in Rührung nieder und rief: »Ich bitte Sie um Gottes willen: Verlassen Sie uns nicht! Wir wollen Sie auch nicht verlassen, sollten auch all unsere Häuser zu Schutthaufen werden. In uns allen lebt nur ein Sinn und Gedanke: Die Stadt darf dem Feinde nicht übergeben werden!«

Der Kommandant hob mich freundlich auf und tröstete mich: »Nein, ich werde euch nicht verlassen. Gott wird uns helfen!« - Und nun wurden sofort einige wesentliche Angelegenheiten besprochen, wobei sich der helle, umfassende Blick unseres neuen Befehlshabers zeigte. Dann wandte er sich zu mir und sagte: »Noch kennt mich hier niemand. Sie gehen mit mir auf die Wälle, daß ich mich etwas orientiere.«

Gleich am nächsten Tage stellte sich der neue Kommandant der Garnison als ihr jetziger Anführer vor. Diese Feierlichkeit begleitete er mit einer Ansprache, die so eindrucksvoll und rührend war, wie wenn ein guter Vater mit seinen Kindern spräche. Danach machte er sie mit den Grundsätzen bekannt, nach welchen er sie befehligen werde.

Loucadou blieb noch die ganze Zeit der Belagerung hindurch in Kolberg, doch ohne sich öffentlich zu zeigen. Spötter meinten, er habe diese Zeit benutzt, um ruhig auszuschlafen.

Der Feind hatte in bewundernswürdiger Tätigkeit am Ende des Maimonats an der Ost- wie an der Westseite der Festung - dort bis hart an den Strand, um sich gegen die Angriffe von der Seeseite besser zu schützen; hier bis über Sellnow hinaus in einem großen Halbmonde nicht weniger als fünfundzwanzig große und kleine Schanzen und Batterien angelegt und miteinander verbunden. An mehr als einem Punkt hatte er Dämme aufzuschütten begonnen und Laufgräben an verschiedenen Orten gegraben.

Unsererseits bot man die größte Wachsamkeit auf, unseren Gegnern jeden kleinen Vorteil, um den sie rangen, aufs hartnäckigste streitig zu machen. Die Überschwemmungen wurden nach und nach im weitesten Umfange durchgeführt. Sie dienten trefflich dazu, uns den Feind in einer ehrerbietigen Entfernung zu halten und das Fortführen seiner Laufgräben zu verhindern. Fragte mich der Kommandant: »Wie stehts, Nettelbeck, können wir nicht noch einen Fuß höher stauen?« - So fehlte es nicht an einem bereitwilligen: »Ei nun, wir wollen sehen!« - Und ich sorgte und künstelte so lange, bis ich den Wasserstand noch um so viel höher brachte.

Die fast tägliche und oft ziemlich lebhafte Beschießung der Stadt war zwar noch kein eigentliches Bombardement. Trotzdem wurden viele Häuser zerstört, und immer häufiger flammten Brände auf, verunglückten Menschen oder wurden entsetzlich verstümmelt. Man war weder in den Häusern noch auf den Gassen ganz sicher. Je mehr Gebäude durch Bomben und Granaten unwohnlich gemacht worden waren, um so höher stieg auch die Zahl der Unglücklichen, denen es an Obdach wie an Mitteln zum Unterhalt fehlte.

Diese Bedauernswerten irrten nun in den Straßen umher, während die feindlichen Kugeln über ihren Köpfen schwirrten.

Eine große Not war der Mangel an klingender Scheidemünze, wodurch der Handel sehr erschwert und die regelmäßige Zahlung der Löhnungen beinahe unmöglich gemacht wurde. Das Gouvernement hatte die Bürger vergeblich zu einer baren Anleihe aufgefordert, wozu zwar die Armen willig ihr Scherflein darbrachten, während die großen Kapitalisten dermalen nicht zu Hause waren. Nun dachte man daran, dem Mangel durch eine eigne Not- und Belagerungsmünze abzuhelfen. Dazu sollte das Metall einer zersprungenen großen Kanone verwandt werden. Allein es verstand sich niemand in der Stadt aufs Prägen, und es war auch nicht die geringste Vorrichtung dazu vorhanden. Da erinnerte ich mich, vormals im holländischen Amerika eine Art von Papiergeld gesehen zu haben, das zur Erleichterung des kleinen Zahlungsverkehrs unter den Pflanzern diente. Ich empfahl, ähnliche obrigkeitlich gestempelte Münzzettel zu einem bestimmten Werte einzuführen. Der Vorschlag wurde angenommen und durch eine aus Seglerhaus-Verwandten und Bürgerrepräsentanten zusammengesetzte Kommission wirklich ausgeführt. Die Billetts, von zwei, vier und acht Groschen im Werte, waren auf der Rückseite durch den Stempel des königlichen Gouvernements autorisiert und fanden willigen Eingang. Sie sind in der Folge eingelöst worden, aber viele wurden als Denkzeichen der überstandenen Drangsale einbehalten oder, selbst über ihren Nennwert, als Seltenheit an Fremde verkauft.

Am 10. Juni brach das bereits gefürchtete Ungewitter gegen die Wolfsschanze los. In der Zeit von einer Stunde zählte man dreihunderteinundsechzig Schüsse. Dann aber begannen auch alle übrigen Batterien der Reihe nach bis zur Altstadt hinauf ein mörderisches Kanonen- und Bombenfeuer, überall regnete es Kugeln und Granaten, Schaden und Unglück waren beträchtlich. Dreimal am Vormittag und einmal nachmittags brannte es bei uns lichterloh. Das Feuer wurde jedoch immer bald wieder unterdrückt. Bei diesem Vorgehen des Feindes wurden denn auch neue Vorsichtsmaßnahmen nötig. So erging durch Trommelschlag der Befehl an die Hausbesitzer, vor den Türen und auf den Böden gefüllte Wasserfässer zum Löschen bereit zu halten.

Wiewohl wir unaufhörlich mit Kanonenkugeln in die feindlichen Kolonnen schossen, mußte die Besatzung der Wolfsschanze ihrer eigenen Tapferkeit und dem freilich nicht zureichenden Schutze der schwedischen Fregatte überlassen bleiben. Bis um fünf Uhr nachmittags hielt sie sich mit rühmlicher Entschlossenheit; dann aber waren ihre Verteidigungsmittel erschöpft. Mit harter Betrübnis sahen wir sie die weiße Fahne aufstecken, nachdem bereits eine starke Bresche geschossen und der Ausgang eines Sturmes nicht mehr zweifelhaft war. Ein fünfzehnstündiger Waffenstillstand ward abgeschlossen. Das Werk sollte dem Feinde eingeräumt werden, die preußische Besatzung aber samt ihrem Geschütz freien Abzug in die Festung erhalten.

Leider offenbarte sich besonders bei den gegenwärtigen verdoppelten Anstrengungen die Mangelhaftigkeit unsrer ganzen Festungsartillerie. Ein Transport neuen und guten Geschützes aus dem Berliner Zeughaus war für Kolberg bestimmt gewesen und im vorigen Sommer auch wirklich nach Stettin gelangt. Bevor aber die Verfrachtung ausgemacht und die Genehmigung des Kriegskollegiums erlangt werden konnte, verstrich Monat auf Monat, bis sich endlich die Franzosen Stettins und des uns zugedachten Geschützes bemächtigten. So geschah es, daß wir nunmehr zum Teil mit unsern eignen Kanonen und unsrer eignen Munition beschossen wurden.

Was wir an Kanonen und Mörsern besaßen, war reiner Ausschuß. Zudem war das Eisen von einer so spröden Gußmasse, daß gewöhnlich nach neun oder zehn schnellen Schüssen das Springen des Stückes befürchtet werden mußte. Wirklich traf nur zu viele dies Schicksal. Zugleich kostete es einer größeren Menge Artilleristen das Leben, als durch feindliche Kugeln hingerafft wurden.

Wir waren daher freudig überrascht, als am 14. Juni ein englisches Schiff in den Hafen lief, welches uns eine Anzahl neue Geschütze samt dazugehöriger Munition zuführte. Es waren fünfundvierzig Kanonen und Haubitzen, zwar eiserne, aber vom schönsten Gusse. Auch an Kugeln und Granaten war eine ansehnliche Menge mitgeschickt worden.

In der Nacht auf den 15. Juni toste der Sturm und es regnete aufs heftigste. Es war finsterer, als es in dieser Jahreszeit bei uns zu sein pflegt. All dies begünstigte ein gewagt erscheinendes Unternehmen, an welches sich dennoch große Hoffnungen knüpften. Es galt einen Ausfall, der uns die Wolfsschanze zurückgeben sollte. Das Grenadier-Bataillon von Waldenfels, welches sie sich hatte nehmen lassen, wollte sie auch wiedergewinnen. Ich folgte der Truppe mit ein paar Wagen, um für die zu erwartenden zahlreichen Verwundeten zu sorgen.

In tiefster Stille zogen wir aus und hatten das Glück, uns dem feindlichen Graben fast unbemerkt zu nähern. Jetzt aber ward plötzlich Lärm. Das Feuern begann von beiden Seiten. Überall kam es zum Handgemenge, und überall floß Blut. Unsre Leute stürmten begeistert, ihnen voran ihr edler Führer. Er war im raschen Lauf der erste auf der Höhe der feindlichen Brustwehr. Plötzlich trifft ihn eine Flintenkugel, die ihn entseelt zu Boden streckt. Allein des Führers Fall steigert die Tapferkeit der Seinen bis zur Erbitterung. Sie dringen unwiederstehlich nach, und die Schanze ist erobert. Ein Obrist, mehrere andre Offiziere und zwischen zwei- und dreihundert Franzosen werden zu Gefangenen gemacht.

Ein noch empfindlicherer Verlust aber traf das Belagerungsheer, dem bei diesem Kampfe sein Anführer, der Divisionsgeneral Teullié, getötet wurde. Wir aber hatten den Tod unseres ebenso wohldenkenden als heldenmütigen Vizekommandanten zu verschmerzen, der mit seinem edlen Vorgesetzten stets ein Herz und eine Seele gewesen war.

Erobert war die Schanze allerdings. Sie konnte aber nur wenige Augenblicke behauptet werden. Eine neue feindliche Kolonne rückte unverzüglich heran. Sie war entschlossen, den Tod ihres Heerführers zu rächen und des verlorenen Postens um jeden Preis wieder Herr zu werden. Das Gefecht begann wiederum und ward bei der überlegenen Zahl der Angreifenden bald so ungleich, daß keine andere Wahl blieb, als uns fechtend in die Stadt zurückzuziehen. Vorher und jetzt hatten wir mehr als zwanzig Tote und Verwundete gehabt. Nur mit harter Mühe war mir's gelungen, die Verwundeten wegzuschleppen.

In der dritten Morgenstunde des 1. Juli eröffnete der Feind aus all seinen zahlreichen Batterien ein Feuer gegen die Stadt, so ununterbrochen, so mörderisch und zerstörend, wie wir es noch nimmer erlebt hatten. Die Erde dröhnte davon; es war als ob die Welt vergehen sollte. Sichtbarlich legten es unsre Gegner darauf an, uns durch ihr Bombardement dergestalt zu ängstigen, daß wir die weiße Fahne zur Ergebung aufstecken müßten.

Ich befand mich in dieser entsetzlichen Nacht neben unserm Kommandanten auf der Bastion Preußen. Von diesem höchsten Punkte auf unsern Wällen konnten wir beinahe alle feindlichen Schanzen und auch die Stadt übersehen. Höllenmäßig wütete das Aufblitzen und Donnern des Geschützes. In der Luft schwärmte es lichterloh von Granaten und Bomben. Wir sahen es hier und da und überall in lichtem Bogen in die Stadt hineinfliegen; hörten ihr Krachen sowie das Einstürzen der Giebel und Häuser; vernahmen den wüsten Lärm, der drinnen wogte und toste; sahen bald hier, bald da Flammen emporlodern. Es war so hell, als ob tausend Fackeln brannten.

In der Stadt gab es bald nirgends ein Plätzchen mehr, wo sich die zagende Menge vor dem drohenden Verderben hätte bergen können. Überall zerschmetterte Gewölbe, einstürzende Böden, krachende Wände und aufwirbelnde Dampf- und Feuersäulen. Überall die Gassen wimmelnd von ratlos umherirrenden Flüchtlingen, die ihr Eigentum preisgegeben hatten und sich unter dem Gezisch der feindlichen Feuerbälle von Tod und Verstümmelung verfolgt sahen. Geschrei von Wehklagenden, Geschrei von Säuglingen und Kindern, Geschrei von Verirrten, die ihre Angehörigen in dem Gedränge und der allgemeinen Verwirrung verloren hatten; Geschrei der Menschen, die mit dem Löschen der Flammen beschäftigt waren, Lärm der Trommeln, Geklirr der Waffen, Rasseln der Fuhrwerke.

Was war aber jede eigne Not gegen die niederschlagende Nachricht, daß um vier Uhr morgens die Maikuhle verloren gegangen war! Mitten im heftigsten Bombardement war dieser Posten von der äußersten westlichen Spitze sowie von der Seeseite her überfallen worden. Die Schillschen Truppen unter dem dortigen interimistischen Befehlshaber Leutnant von Gruben waren zum übereilten Rückzug auf das rechte Stromufer gezwungen worden. Sie hatten kaum noch soviel Zeit gehabt, die Verbindungsbrücke hinter sich abzubrechen.

Mit dem Verlust der Maikuhle war unsrer Verteidigung die wichtigste Waffe aus der Hand geschlagen worden. Denn nun reichte auch das Münderfort zur Beschützung des Hafens nicht mehr aus. Dies offenbarte sich auf der Stelle. Das englische Schiff, das ich kaum zwei Tage zuvor mit Mühe in den Hafen geführt und das seine Ladung an Munition erst zur Hälfte gelöscht hatte, kappte beim Vordringen der Franzosen die Ankertaue, um wieder die offne See zu gewinnen. Es gelang ihm nur mit knapper Not und unter einem dichten feindlichen Kugelregen. Wir waren jetzt vom Meere und aller von dort zu erwartenden Hilfe abgeschnitten. Wir hatten nur noch unsre eigenen Kräfte und Hilfsquellen, die sich von Stunde zu Stunde immer mehr erschöpften.

Mit wenig verminderter Stärke hielt das Bombardement den ganzen 1. Juli an. Von Schrecken umgeben und auf noch Schrecklicheres gefaßt, sahen wir der nächsten Nacht entgegen. Das feindliche Geschütz vereinigte sich zu neuen, noch höheren Anstrengungen. Das Geprassel einstürzender Häuser, fallender Ziegel und klirrender Fensterscheiben übertönte fast den Donner des Feuers. Alle jammervollen Szenen der vorigen Nacht erneuerten sich in noch weiterem Umfange. Bei vielen zeigte sich aber auch eine Gleichgültigkeit, die nichts mehr zu Herzen nahm. Anstrengung, Schlaflosigkeit, immerwährende Anspannung des Gemüts und Sorge für Weib und Kind und Eigentum hatten die meisten so sehr erschöpft, daß sie sich selbst in den Trümmern ihrer Wohnungen noch ein Plätzchen suchten, um den bis in den Tod ermatteten Gliedern einige Ruhe zu gönnen.

Der Morgen des 2. Juli brach an. Das feindliche Bombardement schien wieder neue Kräfte zu gewinnen. Mut und besonnene Fassung waren mehr als jemals vonnöten. Aber nur wenigen war es gegeben, sie in diesem entscheidenden Zeitpunkt zu behaupten. Noch wenigere erhielten die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang in sich lebendig. Aber alle ohne Ausnahme ergaben sich willig in das unvermeidliche Schicksal. Sie hatten es in Gneisenaus Hand gelegt.

Höher aber und höher stiegen Gefahr und Not von Stunde zu Stunde. Niemand wußte mehr, ob es dringender sei, dem Feinde zu wehren oder die Flammen zu löschen, oder das eigne Leben vor den sausenden Feuerbällen zu wahren.

Es war drei Uhr nachmittags. Da, plötzlich, schwieg das feindliche Geschütz auf allen Batterien. Auf das Krachen eines Donners wie am Tage des Weltgerichts folgte eine lange, öde Stille. Jeder Atem bei uns stockte.

Da nahte ein feindlicher Parlamentär. Neben ihm schritt ein Mann, den man unter Zweifel und Verwunderung als einen preußischen Offizier erkannte. Einige versicherten, es sei ihr Freund, der Leutnant von Holleben, der erst vor einigen Wochen mit einer Abteilung Kriegsgefangener über See nach Memel gegangen war. Das schien unmöglich, und doch war es so! Als er sich fast atemlos in den Kreis seiner Bekannten stürzte, rief er aus: »Friede! Kolberg ist gerettet!«

Er war unmittelbar aus dem Hauptquartier des Königs zu Pilkupönen bei Tilsit als Kurier gekommen und überbrachte die offizielle Nachricht von einem mit Napoleon abgeschlossenen vierwöchigen Waffenstillstand, welchem unverzüglich der Friede folgen sollte.

Alsogleich ward die fröhliche Kunde den Bürgern der Stadt unter Trommelschlag bekanntgemacht. Welche Feder vermag wohl den Jubel zu schildern, der alle Gemüter ergriff Man muß selbst in der Lage gewesen sein, sich und die Seinigen gänzlich aufgegeben zu haben, um dies neue, kaum glaubhafte Gefühl von Ruhe und Sicherheit nachzuempfinden.

Nächst Gott dankten wir es unserm edlen Gneisenau, daß wir uns dieser Stunde und eines so ehrenvollen Triumphes erfreuten. Die Belagerung war beendet. Eine völlige Waffenruhe trat ein, und schier alle Bilder des Krieges verschwanden.

Ein wenig zur Ruhe gekommen, richtete ich auch den Blick auf meine eigne Lage und mußte mir gestehen, daß die Zeit der Belagerung mich zu einem armen Manne gemacht hatte. Mein bares Vermögen war gänzlich draufgegangen; teils an Arbeiter, die ich aus meiner Tasche bezahlt, teils durch Spenden an unser braves Militär, das jede Art Erquickung so wohl verdient hatte. Mir war es das süßeste Geschäft, wenn ich den Leuten bei ihrem harten Dienst dann und wann einen warmen Bissen auf die Wälle bringen und ihnen Trost und guten Mut zusprechen konnte.

Meine Freunde haben mir so oft vorgeworfen, daß mich mein guter Wille zu weit führe und zum Verschwender mache. Aber immer antwortete ich ihnen: »Ich bin ein alter Mann ohne Kind und Kegel. Wem sollte ich es sparen?«

Mein Haus hatte durch das Bombardement in allen seinen Teilen gelitten, meine Scheune vor dem Tore war niedergebrannt, mein Gartenhäuschen abgebrochen worden und mein Garten verwüstet. Von den Vorräten meines Gewerbes war nichts mehr übrig. Doch meine Mitbürger hatte all dies Unglück ja auch getroffen.

Mir ward indes in diesen nämlichen Tagen von des gnädigen Monarchen Hand eine Auszeichnung zuteil, die ich nicht erwartet und vor andern, die mit mir ihre Pflicht getan, nicht verdient zu haben glaubte. Ich erhielt nämlich folgendes Königliche Kabinettsschreiben: »An den Vorsteher der Bürgerschaft zu Kolberg, Nettelbeck. Seine Königliche Majestät von Preußen haben aus dem Bericht des Oberstleutnants v. Gneisenau, worin er Höchstdenselben diejenigen Personen anzeigt, welche sich während der Belagerung der Festung Kolberg ausgezeichnet haben, mit besonderem Wohlgefallen ersehen, daß der Vorsteher der Bürgerschaft, Nettelbeck, die ganze Belagerung hindurch mit rühmlichem Eifer und rastloser Tätigkeit zur Abwehr des Feindes und zur Erhaltung der Stadt mitgewirkt hat. Seine Majestät wollen daher dem Nettelbeck für den solchergestalt zu Tage gelegten löblichen Patriotismus hierdurch Dero Erkenntlichkeit bezeigen und ihm, als ein öffentliches Merkmal der Anerkennung seiner sich um das Beste der Stadt erworbenen Verdienste, die hierneben erfolgende goldene Verdienstmedaille verleihen. Memel, den 31. Juli 1807. Friedrich Wilhelm.«

Um die nämliche Zeit ward mir durch des Königs Gnade eine Auszeichnung zuteil, die ich auf keine Weise hatte erwarten können. Es war Sr. Majestät - ich weiß selbst nicht wie - zur Kenntnis gekommen, daß ich vor langen Jahren in wirklichem königlichen Seedienst gestanden hatte. Demzufolge ward mir jetzt die förmliche Erlaubnis erteilt, die königliche Seeuniform zu tragen. Warum sollte ich leugnen, daß gerade diese Vergünstigung einen tiefen und rührenden Eindruck auf den alten Seemann in mir machte, dessen Patriotismus sich immer und unter allen Himmelsgegenden mit einigem Stolz zur preußischen Farbe bekannt hatte?

Gleich nach der Belagerung hatte sich der edle Gneisenau erboten, mir eine königliche Pension zu erwirken. Er wußte um die mancherlei Einbußen, denen ich während der Belagerung ausgesetzt gewesen war. Ich bat ihn, von diesem Gedanken abzustehen, denn damals waren meine Umstände noch immer leidlich, und ich hatte niemand zu versorgen. Gegenwärtig aber, wo meiner Lebenslast noch zehn Jahre zugewachsen waren, standen meine Sachen um vieles anders. Ich war daher dankbar gerührt, als die Huld meines guten und gnädigen Königs mir ein jährliches Gnadengehalt von zweihundert Talern aussetzte. Solchergestalt hatte ich nach menschlichem Ermessen nunmehr mit Welt und Leben so ziemlich abgeschlossen.

In dem, das ich noch nennen will, sorge und bekümmere ich mich als Mensch für die Ehre und den Vorteil der Menschheit. Wann will und wird bei uns der ernstliche Wille erwachen, den afrikanischen Raubstaaten ihr schändliches Gewerbe zu legen, damit dem friedsamen Schiffer, der die südeuropäischen Meere unter Angst und Schrecken befährt, keine Sklavenfesseln mehr drohen?

Wenn ich das noch heute oder morgen verkündigen höre: dann will ich mit Freuden mein lebenssattes Haupt zur Ruhe niederlegen!
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